Am 17. Dezember 2018 besuchte der Bundestagsabgeordnete Bernhard Daldrup (SPD) die Vorlesung „Politisches Denken und Handeln in der Sozialen Arbeit“ an der Abteilung Münster und stellte sich den Fragen der Studierenden. Hauptthemen der Diskussion waren die Erosion des Parteiensystems und die Wahlen im kommenden Jahr.
Daldrup wurde nach den Gründen gefragt, warum die Volksparteien gegenwärtig in Wahlen und Umfragen deutlich schlechter abschnitten als noch vor einigen Jahren. In Umfragen liegt Daldrups Partei, die SPD, bundesweit zwischen 14 und 16 Prozent. Aufgrund der gestiegenen Entfremdung von Parteien und der Bevölkerung, der Pluralisierung der Gesellschaft und des Verschwindens traditioneller Milieus sei es zu sinkenden Mitgliederzahlen und zu einem Vertrauensverlust der Parteien gekommen, erklärte Daldrup. Heute sind 1,8 Prozent der Menschen in Deutschland Mitglied in einer Partei. Daldrup kritisierte, dass Kompromisse oftmals negativ gesehen würden. Dabei sei ein Kompromiss niemals faul, sondern Herzstück der Demokratie. Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Akteuren führe logischerweise zu einem Kompromiss.
Dass das Parteiensystem in Deutschland binnen kurzer Zeit durch eine Bewegung einer charismatischen Person hinweggefegt werden könnte, hält Daldrup für unwahrscheinlich. In Frankreich ist dies der Bewegung „En Marche“ des heutigen französischen Präsidenten Emmanuel Macron gelungen. Die französischen Schwesterparteien von CDU und SPD sind seit der letzten Wahl zur französischen Nationalversammlung im Jahr 2017 bedeutungslos. Die föderalen Strukturen in Deutschland und die Verankerung der Parteien bis in jede Kommune hinein festigten das gegenwärtige Parteiensystem, ist sich Daldrup sicher.
Gelassen blickt Bernhard Daldrup auf die Landtagswahlen und die Europawahl im Jahr 2019. Von derzeitigen Umfragen lasse er sich nicht beunruhigen, legt Daldrup dar. Man solle diese nicht überbewerten; bei Landtagswahlen spiele der Amtsbonus des Ministerpräsidenten eine große Rolle, die dessen Partei oft besser als in den Umfragen abschneiden lasse. Mit schwierigen Koalitionsverhandlungen sei dennoch zu rechnen, führte Daldrup weiter aus. In Thüringen liegt die FDP derzeit bei 5 Prozent. Sollte sie den Sprung in den Landtag verfehlen, wäre eine Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP logischerweise nicht möglich; fraglich ist, ob eine so genannte Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen die nötige Mehrheit erreicht. Eine Zusammenarbeit von CDU und Linkspartei, also von zwei Parteien mit sehr geringen inhaltlichen Schnittmengen, ist eventuell die einzige mögliche Option. Eine Koalition mit der AfD wird von allen anderen Parteien ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang kritisierte Daldrup seine Parteifreunde in Österreich; denn die SPÖ ist im Bundesland Burgenland eine Koalition mit der FPÖ eingegangen.
Dass die Wahlen in Bremen und viele Kommunalwahlen zeitgleich mit der Europawahl im Mai 2019 stattfinden, begrüßt Daldrup und hofft so auf eine deutlich höhere Wahlbeteiligung. In der heutigen globalisierten und komplexen Welt könne kein Nationalstaat große Herausforderungen allein bewältigen und schon gar keine tragfähigen Lösungen finden, ist sich Daldrup sicher. Für ihn bleibe Europa das große Friedensprojekt der Geschichte. Die Kriege in den 1990-er Jahren im ehemaligen Jugoslawien hätten ihm gezeigt, wie fragil der Friede und wichtig die Zusammenarbeit in Europa sei.
Mit Applaus bedankten sich die Studierenden bei Bernhard Daldrup für die Beantwortung ihrer Fragen.
Der Artikel wurde uns mit freundlicher Unterstützung von der Katholischen Hochschule NRW (Abteilung Münster) zur Verfügung gestellt.
Autorin: Dr. Alice Neuhäuser