Warum das Gedenken am „Tag der Befreiung“ so wichtig ist.

Generaloberst Jodl, von Reichspräsident Dönitz dazu autorisiert, unterzeichnet am 7. Mai 1945 im Hauptquartier der Alliierten in Reims die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht

In Berlin ist heute (Freitag) ein Feiertag. Anlass ist das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Es war der „Tag der Befreiung“, an dem am 8. Mai 1945 die deutsche Wehrmacht endgültig kapitulierte, der Befreiung von der Naziherrschaft, die mit dem Ermächtigungsgesetz 1933 begann, der Befreiung vom Faschismus, von Krieg und Gewaltherrschaft.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker, auf den die Namensgebung des Tages zurückgeht, hob die Zäsur des Tages in seiner vielbeachteten Rede vor 35 Jahren und auf ein neues Niveau: „Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.“

Blickt man heute zurück, war seine Rede der Anfang vieler Veränderungen: Historikerstreit, Goldhagens Thesen, Wehrmachtsausstellung, Holocaust-Mahnmal in Berlin, selbst die Stolpersteine kamen erst danach.

Immer mehr Menschen scheinen der Versuchung zu erliegen, diesen Tag als eine Art Trennscheibe zwischen alter, brauner Vergangenheit und neuer, bunter Zukunft zu sehen. In einer kürzlich veröffentlichten Onlineumfrage der „Zeit“, stimmten 54 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Masse in Deutschland keine Schuld gehabt hätte, sondern nur wenige Verbrecher an der Spitze der Gesellschaft. Angesichts unzähliger Toter, sechs Millionen ermordeter Juden, die selbst in den letzten Kriegsstunden noch unnötig sterben mussten und einem Europa, das in Schutt und Asche lag, war dieser Tag ein Tag der Befreiung. Eine Befreiung all der Opfer, Gefangener und Unterdrückten. Dieser Tag steht im Zeichen einer immer und immer wieder notwendigen Erinnerung: „Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist. Deshalb dürfen wir uns nicht einbilden, wir seien nun als Menschen anders und besser geworden“, so Weizsäcker damals.

Nein, Konsens ist der „Tag der Befreiung“ in Deutschland nicht. Für den Vorsitzenden der AfD, Gauland, war es ein Tag der „absoluten Niederlage“,  den er als „Verlust“ bezeichnet und ihn deshalb als dauerhaften Feiertag ablehnt. Die revanchistischen und reaktionären Kräfte, Neonazis allemal, treiben eine Geschichtsfälschung voran, die nicht unwidersprochen bleiben darf. Die Saat geht sonst wieder auf: gerade erst diskutierten wir im Parlament über rechte Übergriffe auf kommunale Mandatsträger und Polizei. Unvergessen ist die schreckliche Tat von Hanau vor rund 80 Tagen. Politischer Mord an den hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke gehört zur Wirklichkeit dieses Jahres.

Der 8. Mai markiert zwar einen Wendepunkt in der Geschichte Deutschlands, ja ganz Europas, aber durch ihn hindurch wehen Kontinuitäten, die heute wieder deutlicher in Erscheinung treten. Ihnen gilt es entgegenzutreten und gerade an diesem Tag im Mai „Nie wieder!“ entgegen zu rufen.

Gleichviel der 8. Mai nur in Berlin einmalig oder dauerhaft und in ganz Deutschland zum Feiertag erklärt würde: Nur wenn wir diese Geschichte lebendig halten, wenn wir die hässliche Fratze des Faschismus nicht verharmlosen und ihn durch politische Bildung und gesellschaftliche Debatte entlarven, sind wir vor seinem Erstarken geschützt. Angesichts des Rechtsrucks in Deutschland hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier daran erinnert: So wenig der Demokratie vor 100 Jahren ihr Scheitern vorherbestimmt war, so wenig ist heute ihr Gelingen garantiert.