Europäische Nachbarschaften pflegen

Wir setzen uns dafür ein, dass Europa eine Vorreiterrolle bei internationaler Krisenprävention, Friedens- und Demokratieförderung sowie zum Schutz von Menschenrechten einnimmt. Europas Verantwortung in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe werden wir durch
eine Erhöhung der EU-Mittel stärken. Mehr Eigenständigkeit setzt höhere Handlungsfähigkeit voraus. Grundlegend dafür ist die Einführung von Mehrheitsentscheiden in der Außenpolitik – statt des jetzigen Einstimmigkeitsprinzips.

Auch das Amt des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik sollte langfristig zu einem EU-Außenminister weiterentwickelt werden. Wir wollen eine gemeinsame Ausrichtung unserer globalen Entwicklungszusammenarbeit und deswegen unsere Kräfte in Europa bündeln.
Ein Europa, das geschlossen auftritt, trägt zur Belebung eines funktionierenden und kooperativen Multilateralismus bei. Wir sind auf internationale Vertrauensnetzwerke angewiesen, so wie die Allianz für Multilateralismus, die bereits wichtige Impulse für die Zusammenarbeit gesetzt hat.
Die NATO ist und bleibt ein tragender Pfeiler der transatlantischen Partnerschaft und für Europas Sicherheit unverzichtbar. Parallel dazu muss die EU sicherheits- und verteidigungspolitisch eigenständiger werden. Die europäische Zusammenarbeit werden wir ausbauen. Unser Ziel bleibt eine
europäische Armee als Teil der Friedensmacht Europa. Durch die Bündelung europäischer Rüstungskooperation nutzen wir Synergien und sparen unnötige Mehrausgaben ein. Souverän muss Europa neue Rüstungskontroll- und Abrüstungsinitiativen für den europäischen Kontinent entwickeln, um frühzeitig auf die Risiken neuer Technologien und gefährliche Entwicklungen im Cyberbereich oder im Weltraum reagieren zu können.
Die Nachbarschaft Europas im Süden wie im Osten ist durch Krisen sowie durch die wachsende Einflussnahme anderer Staaten geprägt. Diese Herausforderungen muss die EU durch eine konzeptionell neu ausgerichtete europäische Nachbarschaftspolitik angehen. Die Länder des Westbalkans werden wir integrieren. Die Partnerschaft zwischen Europa und Afrika wollen wir politisch und wirtschaftlich deutlich ausbauen und auf ein neues Level der Zusammenarbeit heben.
Wir gehen auf die neue US-Regierung zu, die sich wieder verstärkt in der internationalen Zusammenarbeit einbringt. Wir brauchen nicht weniger als einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen. Wir werden die Partnerschaft zwischen Europa und den USA, die auf gemeinsamen
und demokratischen Werten beruht, grundsätzlich stärken und die Zusammenarbeit bei Themen wie Klimaschutz, globaler Gesundheitspolitik, Handel, Abrüstung und Sicherheitsfragen intensivieren.
Es ist im deutschen und europäischen Interesse, wenn wir mit Russland in Fragen der gemeinsamen Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle wie auch bei Klima, Nachhaltigkeit, Energie und der Bekämpfung von Pandemien gemeinsame Fortschritte erreichen. Wir sehen jedoch auch, dass
Europas Beziehungen zu Russland immer wieder Rückschlägen ausgesetzt sind. Ob die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine, Cyberangriffe auf den Deutschen Bundestag oder die Anwendung des international geächteten
chemischen Kampfstoffes Nowitschok zur Ausschaltung innenpolitischer Gegner: Russland bricht regelmäßig internationales Recht und belastet damit die Beziehungen zu seinen Nachbarn. Wir setzen, bei aller erforderlicher Kritik, auch bei Russland auf die Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit. Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben. Wertvoll in den Beziehungen zu Russland sind die zivilgesellschaftlichen Kontakte, die wir weiter fördern und ausbauen wollen, auch durch Visaerleichterungen für den Austausch junger Menschen.

Basierend auf den Werten und Prinzipien der OSZE verfolgen wir daher das Ziel einer neuen europäischen Ostpolitik, die den Fokus auf eine gemeinsame und kohärente EU-Politik gegenüber Russland legt. Eine konstruktive Dialogbereitschaft seitens Russlands ist Voraussetzung, um am
Abbau von Spannungen zu arbeiten. Dazu zählt auch, dass der Weg zu einer friedlichen Lösung des Ukrainekonflikts und damit einhergehend die Beendigung der Sanktionen maßgeblich von der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen abhängt.
Die wachsende Bedeutung Chinas in der Welt hat zur Folge, dass eine globale Antwort auf die ökonomischen, ökologischen, sozialen und politischen Herausforderungen unserer Zeit kaum ohne Peking vorstellbar ist. Interessens- und Wertekonflikte mit China nehmen zu. Europa muss den Dialog mit China über Kooperation und Wettbewerb geschlossen, konstruktiv und kritisch führen. Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen gegenüber Minderheiten, insbesondere uigurischen Muslimen, verurteilen wir. Für Honkong muss das international verbriefte Prinzip „Ein Land – zwei
Systeme“ gewahrt bleiben. Wir betrachten mit großer Sorge den wachsenden Druck auf Taiwan.

Wir unterstützen die Menschen in Belarus in ihrem Wunsch nach Demokratie und Freiheit. Gewalt und Repression der Sicherheitskräfte müssen beendet, alle politischen Gefangenen freigelassen und demokratische Neuwahlen unter der Aufsicht der OSZE durchgeführt werden.
Den innen- und außenpolitischen Kurs der türkischen Regierung betrachten wir mit Sorge. Die Türkei muss rechtstaatliche, demokratische und völkerrechtliche Prinzipien einhalten. Eine Intensivierung des EU-Türkei-Dialogs, der auch diese Fragen kritisch erörtert, ist dringend notwendig.
Israels Sicherheit und Existenzrecht ist Teil der Staatsräson Deutschlands. Auch aufgrund dieser besonderen Verantwortung werden wir zusammen mit unseren europäischen Partnern und den USA neue Initiativen zur Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses unterstützen. Auf Grundlage der Vereinbarungen von Oslo ist und bleibt für uns das Ziel die friedliche Koexistenz zweier souveräner und lebensfähiger Staaten im Rahmen einer Verhandlungslösung. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und einigen Staaten in der Region sind ermutigende Signale, dass Fortschritte zum Frieden möglich sind. Einseitige Schritte von allen Seiten erschweren die Friedensbemühungen und müssen unterbleiben. Von der palästinensischen Seite fordern wir das Ende des Terrors. In den palästinensischen Gebieten sind auf allen Ebenen weitere demokratische Fortschritte nötig. Pläne zu Annexionen lehnen wir kategorisch ab. Es muss zu einem Stopp des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus kommen.
Auch nach dem Brexit bleibt das Vereinigte Königreich ein enger Freund der EU. Die gemeinsamen Abkommen können das Fundament für eine umfassende Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien sein. Auf der Basis des fairen Umgangs miteinander werden wir die Zusammenarbeit in Bereichen weiterentwickeln, die bisher nicht geregelt sind. Einen Wettlauf nach unten, was Umweltstandards oder die Rechte von Arbeitnehmern und Verbrauchern angeht, darf es nicht geben.

[SPD WAHLPROGRAMM 2021]